Die historische Peschard/Cavaillé-Coll-Orgel (1868/1889)
der Pfarrkirche Saint-Augustin in Paris

 

Albert Peschard vollendete 1868 die erste Orgel der neuen Kirche, ein Instrument, das unter der Rosette der großen Westfassade zu stehen kam. Es besaß 42 Register auf drei Manualen und Pedal mit elektrischer Traktur nach dem System Peschard-Barker. Im Einweihungskonzert am 17. Juni 1868 spielten Georges Schmitt, Edouard Batiste und der erst vierundzwanzigjährige Eugène Gigout, der bereits 1863 zum Titularorganisten der Kirche ernannt worden war und bis zu deren Vollendung in einer provisorischen chapelle paroissiale an einem Harmonium seinen Dienst versehen hatte.

Die Wartung der neuen Orgel lag in den Händen Charles Barkers und wurde nach dessen Rückkehr 1870 nach England von seinem Schüler und Mitarbeiter Paul Férat übernommen, der im Winter 1876/77 Verbesserungsarbeiten am elektrischen System durchführte.

Als gegen Ende des Jahrhunderts eine Überholung des Instruments dringend notwendig geworden war, erhielt hierzu 1889 Aristide Cavaillé-Coll den Auftrag. Er reparierte und stimmte das Werk Peschards, über das Cécile und Emmanuel Cavaillé-Coll in der Biographie ihres Vaters schrieben:

»Cavaillé-Coll beschäftigte sich auch mit dem elektrischen Antrieb. Sein Sohn Gabriel, der sich später auf dieses Gebiet spezialisierte, hatte bereits verschiedene Anwendungen versucht, sowohl für die Gebläse als auch für die Übertragung der Bewegungen. Allerdings war diese wertvolle Kraft damals zu wenig unter Kontrolle, als daß man sich ihrer hätte bedienen können, ohne unvorsichtig zu sein. Das ist es, was Barker passiert ist, dem Erfinder des pneumatischen Hebels. Er baute in Zusammenarbeit mit Dr. Peschard (1868) die Orgel von Saint-Augustin mit einem elektrischen System ihrer Erfindung. Wenig später überwarfen sich die beiden; dasselbe tat das elektrische System und Cavaillé-Coll wurde einige Jahre lang damit beauftragt, das Gleichgewicht dieser Maschine wieder herzustellen und zu erhalten, bis zu einem Zeitpunkt, da man damit Schluß machen und die Elektrizität durch eine gewöhnliche Mechanik ersetzen mußte«.

Auf die Versuche Peschards, ihn von den Vorzügen der Elektrik im Orgelbau zu überzeugen, antwortete Aristide Cavaillé-Coll 1897:

»Ich habe Ihre ständigen Bemühungen, mich in die Geheimnisse Ihrer Erfindungen einzuführen, nicht vergessen, aber nachdem ich meine Mission in anderer Hinsicht erfüllt habe, besitze ich nicht den Mut, mir gänzlich neue und unbekannte Studien zu unternehmen. Zur Zeit beschäftigt sich mein sechsundzwanzigjähriger Sohn mit dieser Sache und hat seine Erfahrungen schon mit vollem Erfolg in die Tat umgesetzt. Ich habe ihn mit der Betreuung Ihrer Orgel in Saint-Augustin beauftragt. Während der Überarbeitung dieser Orgel fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Erbauung haben wir an der elektrischen Anlage, die während dieser ganzen Zeit gut funktionierte, nichts getan. Demnächst ist ein Umbau vorgesehen, wobei sie neu intoniert und einige Register ausgewechselt werden sollen. Aber Monsieur Gigout, der Organist, stimmt mit uns darüber überein, daß die elektrische Traktur beibehalten werden soll«.

Nach dem Zerwürfnis mit seinem Sohn übermittelte Cavaillé-Coll am 7. April 1897 jedoch einen Kostenvoranschlag in Höhe von 40.000 Francs, der die Wiederherstellung des Instruments mit neuer mechanischer Traktur (Barkerhebel), die Erweiterung der Disposition um neun Register, die Vergrößerung der Klaviaturumfänge auf 56 bzw. 30 Tasten sowie eine völlige Neuintonation des Pfeifenwerks vorsah. Der Vertrag wurde am 25. Juli 1897 unterzeichnet und die neukonzipierte Orgel schließlich am 30. Mai 1899 durch Gigout erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Nach einer 1925 durch Charles Mutin vorgenommenen Vergrößerung der Orgel auf 54 Register erfolgte 1962 durch die Firma Beuchet-Debierre aus Nantes eine weitere Veränderung der Disposition, die neben einigen Principalstimmen in den einzelnen Werken vor allem mit Mixturen ausgestattet wurde.

Die Restaurierung der Orgel mit einer vollständigen Neuintonation im Sinne des symphonischen Originals besorgte 1988 Bernard Dargassies.

© Günter Lade (gekürzte Fassung des Booklet-Textes)